In unserer ersten offiziellen Rezension auf AniKuni möchte unsere Redaktion direkt ein eher ungewöhnliches Werk, einen Gekiga-Manga von Yoshiharu Tsuge, besprechen. Im Folgenden schildern wir unsere Eindrücke zu dem Einzelband Der nutzlose Mann.
Handlung
Der vorliegende Band ist eine Sammlung verschiedener Kurzgeschichten aus der Feder von erwähntem Autor und Illustrator, Herrn Yoshiharu Tsuge. Diese sind zwischen Oktober 1975 und September 1986 in Japan erschienen.
Im Folgenden berichten wir daher stellvertretend über die Handlung der titelgebenden Geschichte Der nutzlose Mann, dem achten Kapitel dieser Zusammenstellung. Dieses ist inhaltlich mit weiteren Erzählungen des Sammelbandes verknüpft, sodass ein gesamtheitliches Lesen anzuraten und ein eigenständiges Zusammenfügen der Geschehnisse vonnöten ist. Auch die Reihenfolge dieser scheint nicht chronologisch geordnet, weswegen Aufmerksamkeit unbedingt gefragt ist.
In dem namensgebenden Auszug, der im Übrigen rund 40 Seiten umfasst, hat Sukegawa Sukezo das Mangazeichnen für eine Leihbücherei bereits aufgegeben. Von nun an möchte er sich dem Verkauf von Steinen widmen. Über eine hohe Expertise verfügt er dabei nicht, sein Wissen stammt aus fragwürdigen Büchern.
Zudem ist der Boom um die Naturobjekte bereits seit einem Jahrzehnt vergangen. Daher ist auch bei dieser, sowie vielen anderen Geschäftsideen des Mannes mittleren Alters, der monetäre Fluss bereits lange versiegt. Das Überleben gestaltet sich als schwierig.
Aufgrund mangelnder Einnahmen kann er weder seine Frau noch seinen asthmatischen Sohn versorgen. Die Familie schämt sich für den erfolglosen Ehemann und Vater. Jener wiederum bedauert sein Unvermögen, seine Angehörigen nicht unterhalten zu können.
Das vorliegende Werk gibt episodisch einige Teile des Lebens von Tsuges Alter Ego Sukezo wieder, der in den jeweiligen Geschichten allerdings ein hohes Maß an kreativer Freiheit verwendete. Folglich ist die Terminologie der Autobiographie nur bedingt ernst zu nehmen.
Der nutzlose Mann basiert jedoch auf persönlichen Erfahrungen, Empfindungen und Vorstellung des verantwortlichen Autoren und Zeichners, der lange Zeit ausschließlich in Japan für seine Kunst geschätzt wurde.
Dank Reprodukt öffnet sich das kulturelle wie artistische Vermächtnis Tsuges nun auch für den deutschsprachigen Raum weiter, nachdem vergangenes Jahr bereits Rote Blüten durch den Berliner Verlag publiziert wurde.
Zeichenstil
Yoshiharu Tsuge gilt heute als Kultfigur des alternativen Manga. Sicherlich ist auch sein markanter Stil dafür verantwortlich: Die teils eher groteske Darstellung seiner zumeist autobiographischen Geschichten galt schon damals als speziell. Zumeist ist die Technik des mittlerweile pensionierten Mangaka nur einem ausgewählten Publikum zu empfehlen – vornehmlich einer angejahrten Leserschaft.
In der geordneten Panelstruktur befinden sich die Zeichnungen, die der Künstler oftmals auch mittels vieler einzelner Striche realisiert. Dabei schlägt er Spagat zwischen originalgetreuen, naturalistischen Illustrationen der unbelebten Elemente und einem eigenen Stil der Visualisierung für die belebte Umwelt.
Entsprechend erscheinen die Charakterdesign oftmals kantig, doch gliedert sich eben jener Stil hervorragend in das Abbild des Zeitgeistes der Siebziger und Achtziger ein. Dies wissen Liebhaber von anderen Sammlungen Tsuges sicherlich zu schätzen.
Die Hintergründe erscheinen schlicht. Allerdings ist zu erkennen, dass diesen stellenweise besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Auch bei jener Ausgestaltung ist Tsuges Vorliebe zu Strichen erneut zu bemerken.
Hinsichtlich der Kontrastierung der Inhalte ist ebenfalls die angesprochene Schlichtheit als erster Eindruck zu notieren. Bei der Betrachtung im gesamtheitlichen Bild ist jedoch ersichtlich, dass sich diese vermeintlich vereinfachte Präsentation harmonisch mit den tendenziell düsteren Thematiken der vorliegenden Kurzgeschichten deckt.
Der nutzlose Mann gefällt somit durch den nostalgisch geprägten Zeichenstil, der auch in der Leseprobe durch Verlag Reprodukt hier zur kostenfreien Ansicht zur Verfügung steht.
Storytelling
Der Grund, weswegen Yoshiharu Tsuges Geschichten nur einem exklusiven Kreis der Leserschaft von gezeichneten Autobiographen anzuraten ist, liegt sicherlich in der Art und Weise der Erzählung seiner Werke, die zugegeben gewöhnungsbedürftig ist.
Wie bereits angedeutet, sind enthaltene Kurzgeschichten allesamt – zumindest partiell – durch eine persönliche Nuance geprägt, jenen autobiographischen Charakter. Tsuge stellt seine eigene Person dar und kommentiert diese durch andere Figuren zynisch. Teils vernichtende Urteile über sein Wesen.
Die Depressionen des Künstlers sind sicherlich auch in dem vorliegenden Buch an verschiedenen Stellen bereits zu erahnen. Als Ungeziefer bezeichnet er sich selbst, Suizid scheint er in Betracht zu ziehen.
Dieses Denken resultiert aus dem wirtschaftlich erfolglosen Dasein für das er versucht, die gesamte Schuld auf seinen Rücken zu schnüren. Er urteilt dabei nicht über seine damaligen Mitmenschen und Bekanntschaften, sondern nur über die eigene Existenz, die er zu verdammen scheint. Dennoch fragt er nicht nach Mitleid.
Allerdings reicht er auch keine Ratschläge oder Hinweise für diese Situationen ein. Vermutlich da ihm diese zum Zeitpunkt des Verfassens jener Geschichten nicht gegeben waren – möglicherweise auch heute noch nicht gegeben sind.
Entsprechend enden die Kurzgeschichten offen. Die Autobiographie des Künstlers ist, abseits seiner Niederschriften, noch nicht abgeschlossen – er lebt und befindet sich in seinen Achtzigern, zog sich allerdings bereits 1987 zurück.
Deutsche Verarbeitung
Nicht nur der Inhalt des vorliegenden Einzelbands entspricht einer besonderen Güte, sondern auch die deutschsprachige Publikation durch den Reprodukt-Verlag. Das Buch umfasst 416 Seiten in einem Format von 13 × 19 cm, die im Flexicover präsentiert werden. Dieses ist außerhalb durch zwei Arten veredelt.
Haptisch fällt vor allem die wachsartige Beschichtung auf, die ein angenehmes Gefühl in der Hand garantiert. Ein weiteres, optisches Highlight sind die japanischen Schriftzeichen auf dem Front- und Backcover, die erst im richtigen Winkel sichtbar werden. Entsprechend ist die Außenseite einige Male im Licht zu wenden.
Beim Aufschlagen des Sammelbandes zu beiden Seiten ist zudem je eine doppelseitige Farbseite in rot-weiß zu bemerken. Der Anhang des vorliegenden Manga enthält abschließend weitere, farbige Illustrationen von Yoshiharu Tsuge im kleinen Format.
Weiterhin fällt positiv auf, dass das hochwertige Papier unter Verwendung von Stoff gebunden ist. Dies bestärkt den qualitativen Eindruck zunehmend. Allerdings wirkt sich diese Art der Bindung auf das Leseerlebnis aus.
Es ist durchaus ungewohnt schwierig das Buch zu öffnen beziehungsweise zu lesen. Natürlich ist es möglich, Der nutzlose Mann problemlos zu lesen. Allerdings ist nach einigen Kapiteln eine Pause vorzunehmen – der Handmuskulatur wegen.
Zumindest Leser mit tendenziell kleineren Händen könnten dieser Schwierigkeit begegnen. Dafür überzeugt die übrige Verarbeitung maßgeblich. Der als hoch erscheinende Preis von 24 Euro ist somit als gerechtfertigt zu beurteilen.
Fazit
Der Einzelband, der sich aus zwei original Mangabänden von Yoshiharu Tsuge zusammensetzt, konnte uns somit relativ umfassend überzeugen. Selbstverständlich ist allerdings zu betonen, dass sowohl die aufgeworfenen Thematiken als auch die teils derben Zeichnungen stellenweise sehr belastend wirken könnten.
Daher ist die vorliegende Kurzgeschichten-Sammlung nur einem erwachsenen und psychisch stabilen Publikum mit Interesse an japanischer Comickunst aus den Siebziger- und Achtzigerjahren zu empfehlen. Dieses sollte darüber hinaus bereit sein, den Preis von 24 Euro zu entrichten. Die lokale Publikation entspricht diesem Wert.
Die über 400 Seiten sind in einem wachsartig-beschichteten Flexi-Cover-Umschlag eingebunden. Dieser wirkt sehr hochwertig, gestaltet sich beim Lesen allerdings auch relativ steif, sodass die Handmuskulatur entsprechend beansprucht wird.
Jedoch gehen wir davon aus, dass dafür eine Langlebigkeit des Produkts gegeben ist. Ohnehin sind Tsuges Kurzgeschichten nicht unbedingt für ein eiliges Durchlesen, sondern vielmehr auf ein langsames Sinnieren durch die Psyche der von ihm geschaffenen Figuren und deren Niederlagen ausgelegt.
Final möchten wir zudem Worte des Dankes an die Redaktion von Reprodukt richten, die durch die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares unsere junge Webseite und diesen Artikel förderlich unterstützen. Vielen Dank!
Pro
- Papierqualität
- Cover-Verdelung
- Thematik abseits des Mainstreams
- Ausführliches Glossar und Nachwort samt Quellenangabe
Kontra
- Steife Bindung
- Nur für ein ausgewähltes Publikum zu empfehlen
1 Kommentar
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